Noch bis zum 14. April ist die Sonderausstellung über den in Biberach geborenen Architekten Hugo Häring (1882-1958) zu sehen. Die Ausstellung zum Werk und Wirken Härings ist eine Kooperation des Museums Biberach mit der Hugo-Häring-Gesellschaft und der Hochschule Biberach (HBC). Über diese besondere Zusammenarbeit und die aktuelle Bedeutung eines großen Funktionalisten sprachen wir mit Dr. Judith Bihr, Baubürgermeister Christian Kuhlmann sowie Professor Maximilian Rimmel (HBC) und Professor Dr. Matthias Schirren von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern, der das Ausstellungskonzept begleitet hat.

„Die Welt ist noch nicht ganz fertig“ – Was wollte Hugo Häring damit ausdrücken und warum ist dieser Satz noch heute aktuell?

J.B.: Diesen Satz hat Hugo Häring 1947 über einen Text setzen lassen, den er in der „Bau Zeitschrift wohnen arbeiten sich erholen“ publizierte. Ihm ging es darum, zu betonen, dass die Welt – und der Mensch in ihr – einem ständigen Wandel unterliegt, und es die Aufgabe des neuen Bauens ist, diesem Wandel zu entsprechen, um den jeweiligen Lebensbedingungen gerecht zu werden.

C.K.: Ein Blick zurück in unsere Kulturgeschichte, aber auch auf die aktuellen, drängenden Herausforderungen zeigt: unsere Lebenssituation (politisch, gesellschaftlich etc.) muss sich immer wieder neu auf sich ändernde Rahmenbedingungen einstellen. Ein „fertig“, auch beim Planen und Bauen, werden wir nicht erreichen, aber ein „besser“ kann uns ein Ansporn sein.

M.S.: Das Schöne war, dass wir selbst auf diesen Titel erst spät kamen, während einer der Biberacher Sitzungen. Da stand er plötzlich im Raum und alle waren sofort mit ihm einverstanden. Ein klarer Fall jenes „Findens“, von dem Häring im Bereich des Entwerfens gern spricht, das man nicht durch eine prospektive Methode, wie beispielsweise ein geometrisches Entwurfsverfahren, zwingen kann, sondern das sich ergibt, wenn man sich auf eine Sache, eine Fragestellung einlässt.

Porträt Mann schwarz weiß
Porträt Mann schwarz weiß

Härings Fundamentalfragen zum Bauen, die damals als revolutionär galten, sind noch heute anschlussfähig. Wie lauten sie und welche Schlüsse lassen sich daraus für den aktuellen Diskurs zwischen Baukultur und Klimaschutz ziehen?

C.K.: Im Denken Hugo Härings setzen der Mensch mit seinen individuellen Ansprüchen und der Ort mit seinen äußeren Einflüssen den Rahmen, sie definieren die Lösung, Baustruktur, Materialität und Erscheinungsbild leiten sich daraus ab. Baukultur beschreibt also unsere Haltung, mit der wir uns den sich stets ändernden Anforderungen stellen. In Kenntnis der Klimakrise mit ihren Auswirkungen würde Hugo Häring heute, so meine Vermutung, auch diesem Aspekt hohe Priorität einräumen.    

Frau im Porträt mit langen Locken
Frau im Porträt mit langen Locken

M.R.: Im Werk Härings findet man oftmals eine virtuose Verwendung unterschiedlicher Konstruktionsarten und Materialien. Diese Kenntnis ist die primäre Grundlage für das heute so wichtige ressourcenschonende Bauen. Gleichwohl verlieren wir leider immer mehr das Gespür für die einfachen und primären Konstruktionsarten.

M.S.: „Bemerkungen über den zweifelhaften Wert des gesunden Menschenverstandes“ ist ein anderer Artikel Härings überschrieben. Er wandte sich damit gegen die Gedankenlosigkeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute fordert der Klimaschutz ein Umdenken. Häring nahm gern eine Menscheitsperspektive ein. „Städte sind Formfindungen auf unserem Wege zur Menschwerdung“ schrieb er zum Beispiel in den 1920ern. Darin steckt ein Anspruch.

Wie ist die Kooperation von Museum, Gesellschaft und Hochschule entstanden und wie haben Sie zusammengearbeitet?

C.K.: Die Initiative zu dieser Ausstellung ging vor einigen Jahren von der Hugo-Häring-Gesellschaft aus. Nachdem über Sponsoren ausreichend Finanzmittel eingeworben werden konnten, hat die Gesellschaft Prof. Schirren von der RPTU Kaiserslautern als profunden wissenschaftlichen Begleiter gewinnen können. Damit war die Basis für eine äußerst fruchtbare Kooperationen zwischen dem Museum Biberach, der Hochschule Biberach, der Akademie der Künste Berlin und der Hugo-Häring-Gesellschaft gelegt.

Mann im Porträt mittleren Alters vor historischem Gebäude
Mann im Porträt mittleren Alters vor historischem Gebäude

J.B.: Wir haben die Initiative sehr begrüßt, da es die erste Ausstellung zu Häring im Museum Biberach ist. Bisher wurden nur kleinere Gemälde von Häring in der Kunstsammlung präsentiert, nicht jedoch das architektonische Werk. Von Studierenden der Hochschule Biberach stammt der Entwurf der geschwungenen Ausstellungsarchitektur, die Akademie der Künste Berlin hat uns die digitalisierten Architekturzeichnungen und -pläne Härings bereitgestellt und die Architekturmodelle sind zum großen Teil Leihgaben der Hugo Häring Gesellschaft.

Wie haben Sie sich dem Wirken Härings genähert?

J.B.: Das Werk Härings, das neben den entworfenen und realisierten Bauwerken auch umfangreiche theoretische Schriften beinhaltet, ist nicht leicht zu fassen. Um den Besucher*innen das Konzept von Häring’s organhaftem Bauen zu vermitteln, haben wir uns gegen eine chronologische und für eine thematische Präsentation der Werke entschieden, die Gemeinsamkeiten, aber auch Brüche im Werk von Häring offenlegt.

Welche Kapitel haben sich daraus für die Ausstellung ergeben?

J.B.: Die Ausstellung gliedert sich in die Bereiche funktionelles Bauen, experimentelles Bauen und Städtebau. Geht es beim funktionellen Bauen um Individualisierung und Eigenart, wie bei Härings Hauptwerk, dem Gut Garkau in Ostholstein, deutlich wird, ist beim experimentellen Bauen Typisierung und Massenproduktion das Thema, gerade auch im Hinblick auf Minimalwohnungen, wie es Häring genannt hat, sprich den sozialen Wohnungsbau. Die Möglichkeit der individuellen Entfaltung und die Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse zukünftiger Nutzer*innen sind die Pfeiler, die die einzelnen Bereiche vereinen. Flankiert werden sie von einem Prolog „Raum der Avantgarden“ und einem Epilog „Bauen mit Licht“, die Härings Verbindungen zur Kunstavantgarde der Zeit, wie dem russischen Konstruktivismus, aufzeigen.

Mann im Porträt
Mann im Porträt

Welche Arbeiten finden Sie persönlich besonders interessant?

C.K.: Für mich sticht keine Arbeit besonders heraus. Vielmehr beeindruckt mich das ständige Suchen von Hugo Häring nach einer dem Nutzer, dem Menschen angemessenen Lösung der Aufgabe. Dabei ergeben sich Fragen, Brüche und Widersprüche. Trotz kontroverser Debatten in Fachkreisen, auch Konflikten und Repressionen durch die Nazis hat Hugo Häring seinen besonderen Anspruch an die Architektur und das Bauen nicht aufgegeben.

J.B.: Spannend finde ich die Entwürfe, von denen Häring verschiedene Varianten gefertigt hat, sodass sich darin auch der Wandel seiner eigenen Auffassungen zeigt. Während zum Beispiel sein Wettbewerbsentwurf für den Hauptbahnhof Leipzig 1907aus den großen Glaseisenkonstruktionen über den Gleisen das Thema auch für die Empfangshallen zur Straße hin ableitete, versetzte Häring das Gebäude in seiner Überarbeitung von 1921 in Bewegung: Die starre, orthogonale Geometrie wurde durch fließende Kurven ersetzt, da die Form des Entwurfs auf den Strom der Fahrgäste reagieren sollte.

MR: Das Gut Garkau bei Klingberg. Eine leichtes Holzskelett – nicht als Dach, sondern als Raumkörper –  schichtet sich auf massive Mauerwerksfragmente.  So schaffen einfachste Mittel einen enormen Ausdruck, der sich im Zollingertragwerk der Scheune auf der Basis der Fügung von einfachen kurzen Brettern zuspitzt.

Die Hugo-Häring-Gesellschaft besitzt eine Sammlung von Modellen und anderen Unterlagen zum Werk, die im Rahmen der Ausstellung gezeigt werden. Waren Sie zuvor bereits öffentlich zugänglich?

C.K.: Es gab, nachdem die Hugo-Häring-Gesellschaft die Modelle erhalten hatte, vor einigen Jahren eine Ausstellung im Biberacher Rathaus. Ein weiteres Anschauungsobjekt ist das Haus am Mettenberger Weg 17, das für Veranstaltungen und Fachführungen geöffnet wird.

MS: Die Modellsammlung und das Haus am Mettenberger Weg sind architekturhistorische Pfunde. Hinzu kommt die Museumsammlung mit Bildern, die Häring als junger Mann selbst gemalt hat. Das eindrückliche Porträt, das er 1908 von seinem Studienfreund schuf, dem späteren Kunsttheoretiker Gustaf Britsch, konnte so im Zentrum der Biberacher Venue platziert werden.

Welche Rolle spielt Hugo Häring in der Hochschul-Lehre insgesamt bzw. am Standort Biberach?

MR: Lernen bedeutet immer auch exemplarisches Betrachten und das analytische Verständnis von bereits Gemachtem. Häring gehört hier zu den großen Protagonisten des 20. Jahrhunderts.

MS: Es sind zwei Texte Härings, die ich zu lesen empfehle: „Wege zur Form“, 1925 in der Werkbundzeitschrift Die Form erschienen, sowie, in der selben Zeitschrift ein Jahr später erschienen: „Zwei Städte“. Letzterer ist eine „physiognomische Studie“, die sich mit den Hochhausvisionen Le Corbusiers auf der einen und mit Ludwig Hilberseimers auf der anderen Seite befasst.

Repairing Häring:

Vortrag zum Gut Garkau am 12. April

Der Architekt Bernd Schmutz spricht im Rahmen der Ausstellung über die gegenwärtigen Entwicklungen auf Gut Garkau. Das von Hugo Häring entworfene Gut wurde seit den 1920er-Jahren ergänzt, überformt und weitergebaut. Nicht nur der Ort selbst und seine Nutzer haben sich verändert, sondern auch die Landschaft und die Lebensbedingungen unserer Gesellschaft. 

Um diese Anforderungen abzustimmen und Häring‘s Haltung in die Gegenwart zu übersetzen,  wird das Gut Garkau auch zukünftig weitergebaut - mit der bestehenden Bausubstanz als auch erneuerbaren Energie für neue Nutzungen. Dafür werden die denkmalgeschützten Gebäude repariert und  als vielfältig nutzbare Allräume ertüchtigt. Der Hof wird als Dorf im Kleinen betrachtet, mit einem Nebeneinander privater und öffentlicher Nutzungen. Das Büro Bernd Schmutz agiert an mehreren Stellen und Maßstäben dieses sensiblen Ensembles, um die sanierungsbedürftigen Gebäude nach Häring‘s Entwurfsprinzipien zu schärfen und in die Landschaft einzubinden. Durch präzise Interventionen soll der Hof nutzbar gemacht werden, um 100 Jahre nach dessen Entstehung wieder ein Bewusstsein für die Koexistenz von Lebensraum und Naturraum zu kultivieren.

Termin: 12.4., 17 Uhr

Ort: Museum Biberach

Kosten: Museumseintritt + 1EUR

Eine vorherige Anmeldung ist nicht notwendig.